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Mechanik und Bemessung von Brettsperrholzplatten: Plattentragwirkung und Krafteinleitungsprobleme

Brettsperrholzplatten (BSP-Platten) als flächige Strukturelemente erfüllen im modernen Ingenieurholzbau neben rein lastabtragenden Funktionen, d.h. Lastabtragung parallel zur Plattenebene (Scheibenbeanspruchung) und orthogonal zur Plattenebene (Plattenbeanspruchung) auch bauphysikalische und architektonische (raumabschließende) Aufgaben. Verglichen mit konventionellen homogen-isotropen Plattenbauteilen aus Stahl, Glas, oder Kunststoffen weisen BSP-Platten typische vergleichsweise komplexe innere Strukturen auf. Diese innere Struktur entsteht durch die in alternierender Abfolge zueinander meist orthogonal angeordneten Einzelschichten, die in Dickenrichtung über die benachbarten Brettbreitseiten vollflächig miteinander verklebt sind. Die Brettschichten selbst bestehen aus parallel nebeneinander verlegten Einzelbrettern, deren Verbindung längs der Brettschmalseiten unverklebt bzw. verklebt ausgeführt sein kann.

Diese Situation erfordert eine problemspezifische strukturmechanische Detailbeschreibung des elastischen und in weiterer Folge elastisch-plastischen Tragverhaltens unter Berücksichtigung der angeführten strukturellen Heterogenitäten. Die moderne Strukturmechanik bietet hiefür keine geeigneten Vorlagen und somit müssen, ausgehend von der dreidimensionalen Kontinuumsmechanik, im ersten Schritt völlig neue theoretische Strukturmodelle entwickelt und im zweiten Schritt praktisch numerisch umgesetzt werden. In der Vergangenheit des Holzbaues wurde in der wissenschaftlichen Behandlung flächiger Tragelemente in erster Linie Augenmerk auf die versuchstechnische Untersuchung und die dazugehörige begleitende theoretische Untermauerung des Basisfalles der einachsigen Plattentragwirkung gelegt. Die hiefür herangezogenen bestehenden und neuentwickelten Plattenmodelle erlauben nur beschränkt gültige Aussagen zum Tragverhalten (Tragfähigkeit und Verformbarkeit) von BSP-Platten. Der Grund liegt darin, dass in existierenden klassischen Plattenmodellen die einzelnen Brettschichten durch homogene Einzelschichten mit verschmierten orthotropen mechanischen Kenngrößen beschrieben werden. Heterogenitäten wie Brettfugen, Risse, Klebefugenkontakt usw. können auf diese Weise in ihrer typischen strukturmechanischen Wirkung qualitativ und daher auch quantitativ nicht erfasst werden.

Im Rahmen eines derzeit laufenden Forschungsvorhabens wird das linear elastische Scheibentragverhalten (Verformbarkeit) derartiger orthogonaler Gitterstrukturen mit und ohne Öffnungen für den Basisfall der reinern Schubbeanspruchung untersucht. Diese Erkenntnisse bezüglich des Schubtragverhaltens von konstant über die BSP-Elementdicke schubbeanspruchten Bauteilen liefern wertvolle Informationen zum Drilltragverhalten, d.h. zufolge linear über die Bauteildicke veränderlicher Schubbeanspruchung, eines mehrschichtig verklebten BSP-Elementes. Die regelmäßige geometrische Struktur des BSP-Elementes führt zu komplexen Schubtragmechanismen zufolge Scheibenschubbeanspruchung und Plattendrillbeanspruchung. Die detaillierte Kenntnis derartiger Tragmechanismen ist zum Verständnis der Tragwirkung sowie zur Ermöglichung einer effizienten wirtschaftlichen Ausnutzung und zur Abklärung von Sondereffekten notwendig. Unter baupraktischen Sondereffekten verstehen sich hierbei Öffnungen und Ausschnitte, Durchbrüche, konzentrierte Lasteinleitungen längs der Ränder, kombinierte Querschnitte, mitwirkende Breiten für Rippenplatten usw. In bestehenden klassischen Plattenmodellen sind aufgrund der angenommenen idealen homogenen Struktur der Einzelschichten und den verschmiert angenommenen elastischen Koppelungen der Einzelschichten untereinander keine Drehmomenteninteraktionen benachbarter Einzelschichten erfassbar. Die genannten Drehmomenteninteraktionen zwischen den in Dickenrichtung benachbarten Brettbreitseiten stellen eine unverzichtbare, zur Erhaltung des inneren Kräftegleichgewichtes "lebensnotwendige" Tragwirkung dar.

Diese neu auftretende Tragwirkung ist daher in Form einer geeignet erweiterten, nicht-klassischen, kombinierten Scheiben-Platten-Theorie zu erfassen und hiefür ein allgemeines finites Struktur-Element für die praktische Anwendung zu formulieren. Wesentliche Anhaltspunkte zur Umsetzung dieser erweiterten Scheiben-Plattentheorie werden in den derzeit laufenden Projekten geschaffen. Als hilfreicher Ausgangspunkt für die neu in Angriff zu nehmenden Arbeiten lassen sich verschiedene vereinfachte BSP-Modelle herleiten und in weiterer Folge zur Verifikation den neu zu entwickelnden Modellen gegenüberstellen. Diese neu zu entwickelnden Modelle können in eine Hierarchiekette gestellt werden und reichen vom einfachsten Fall eines homogenen Gesamtplattenmodells mit homogenisierten Plattensteifigkeiten, zu fortgeschrittenen neuen Schichtenmodellen sowie zum vollständigen 3D Kontinuumsmodell. Ersterer Modelltyp wird für die direkte praktische Ingenieuranwendung angestrebt, zweiterer für die Untersuchung von Sondereffekten im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung und dient auf diese Art indirekt der praktischen Ingenieuranwendung. Letzterer Modelltyp dient der Verifikation und Kalibrierung der angestrebten erstgenannten strukturmechanischen Modelle. Neben den linear elastischen Steifigkeitsuntersuchungen für Scheiben- und Plattenstrukturen soll letztlich ein Bemessungskonzept zur Bemessung mehrschichtiger flächenhafter Holzstrukturen mit beliebiger Berandung und für beliebige Beanspruchung, mit dem Augenmerk auf Schub- und Drillbeanspruchungen erarbeitet werden. Die markante Hauptidee liegt hierbei in der Einführung eines sogenannten "Beanspruchungsintensitätsfaktors", welcher auf die charakteristischen Spannungszustände in den einzelnen Klebeflächen in geeigneter Form angewandt wird. Umfangreiche Vorarbeiten insbesondere versuchstechnischer Natur zu diesem Themenkomplex sind im Rahmen einiger vergangener Projekte bereits durchgeführt worden. Mit den durchgeführten Verdrehungs- und Verschiebungsversuchen an isolierten Brettkreuzungen, sowie mit den Kenntnissen zu den Spannungsbildern aus den numerischen Simulationen an isolierten Brettkreuzungen sowie an Knotengruppen können auf Basis der Schnittgrößen in den Klebeflächen vollständige Bemessungskonzepte zur Berechnung von BSP-Elementen erarbeitet werden. Eine stichprobenartige Verifikation der theoretischen Untersuchungen anhand gezielter Großversuche ist vorgesehen, falls dies nach Abschluss der theoretisch-numerischen Arbeiten zielführend erscheint.