P_1.1.1 spatial_construct

Traglastberechnung räumlicher, skelettartiger Tragstrukturen im Ingenieurholzbau

Räumliche skelettartige Tragkonstruktionen bilden im traditionellen wie im modernen konstruktiven Ingenieurholzbau vom Typ her den bei Weitem überwiegenden Anteil aller realisierten Bauelemente und Baukonstruktionen, verglichen beispielsweise mit flächenartigen Tragkonstruktionen, bei denen erst in jüngerer Zeit eine im starken Aufwind befindliche Entwicklung eingesetzt hat, sowohl von der technologischen Seite her als auch vom Standpunkt der begleitenden mechanischem Durchdringung und des dadurch ermöglichten Verständnisses der Tragwirkung aus gesehen. Die druckübertragenden Komponenten skelettartiger Tragkonstruktionen als Ganze, im Ensemble sozusagen,  sowie die einzelnen Druckglieder für sich, aus denen derartige Strukturen stets zusammengesetzt sind, sind auf Grund ihrer schlanken Bauweise prinzipiell Stabilitätseffekten ausgesetzt. Derartigen Stabilitätseffekten wird seit Beginn der Holzskelettbauweise durch geeignete konstruktive Massnahmen begegnet bzw. ist durch normenmäßig geforderte, geeignete rechnerische Nachweise das Erreichen der nötigen Tragfähigkeit bzw. Tragsicherheit in allen relevanten Fällen zu belegen.

Bedeutende technologische Entwicklungen innerhalb der vergangenen Jahrzehnte (Brettschichtholzbauweise, Misch- oder Verbundsysteme, Verbindungstechnik, Qualitätsklassifizierung von Bauholz usw.) haben es überdies ermöglicht, in Spannweiten- und Schlankheitsbereiche vorzudringen, welche vordem ausschliesslich anderen Baustoffen (wie Stahl, Stahlbeton) vorbehalten war. Diese Tatsache sowie die im selben Zeitraum einhergehende ebenso stürmische Entwicklung in der Theorie der nichtlinearen Mechanik der Tragkonstruktionen lassen es angeraten erscheinen, den Versuch zu unternehmen, diese beiden Entwicklungslinien in organischer Art und Weise zusammen zu führen und nach dem rationalen Motto des deutschen Philosophen G.W. Leibnitz "Theorie und Praxis" zu vereinen.

Der Stabilitätsbegriff hat sich im vergangenen Jahrhundert langsam, jedoch stetig zu seiner heutigen ausgereiften Vollform entwickelt, findet in vereinheitlichter Weise im Traglastbegriff seinen Niederschlag und steht auf diese Weise der zukünftigen nutzbringenden und gezielten Anwendung und Integration in die Sparten des  konstruktiven Ingenieurbaus zur Verfügung. Der Traglastbegriff seinerseits ruht auf der strikten theoretischen wie praktischen Unterscheidung von Effekten, welche die Traglast von komplexen Systemen sowie von einfachen Einzelbauteilen, massgeblich beeinflussen, wie:

  • kinematisches Stabmodell,
  • geometrische Nichtlinearität,
  • materielle Nichtlinearität,
  • Verbindungen und nachgiebige Verbundfugen mit nichtlinearer Charakteristik sowie
  • geometrische Imperfektionen oder Ersatzimperfektionen.

Jeder dieser genannten Problemkreise erfordert in seiner Anwendung auf den Ingenieurholzbau eine detaillierte und sorgfaeltige sachgerechte wissenschaftliche Bearbeitung, wobei durch die Zusammenführung dieser bis dato getrennt existierenden Problemkreise, in der Theorie und für die Praxis des konstruktiven Ingenieurholzbaus, Neuland erschlossen werden kann. Überdies können konzeptionelle Lücken zu Entwicklungen in Nachbarsparten wie im Stahlbau und Stahlbetonbau geschlossen werden, welche aus verschiedenen Gründen schon viel früher den Traglastbegriff in sich aufgenommen und nutzbar gemacht haben. Daraus ergibt sich ein weiteres Pro-Argument fuer eine konzeptionelle Vereinheitlichung und Weiterentwicklung im  Hinblick auf die bautechnische Realisierung und zukünftige normenmäßige Behandlung von Mischsystemen mit Bauelementen aus unterschiedlichen Baustoffen oder von Verbundsystemen, Verbundquerschnitten usw.

Im Rahmen von zwei Vorläuferprojekten wurden während der vergangenen beiden Jahre wesentliche Vorarbeiten zu einigen der genannten Problemkreise geleistet,

  • Untersuchung der Stabilität des Einzelstabes hinsichtlich Biegeknicken und Biegedrillknicken auf der Grundlage des Traglastbegriffes, der Vergleich dieser Ergebnisse mit den bestehenden normenmäßigen Regelungen sowie der daraus folgenden mechanischen Erklärung einiger Besonderheiten dieser normenmäßigen Regelungen, und
  • Herleitung des theoretischen Grundgerüstes für den geometrisch nichtlinearen Stab (von uns abkürzend "Generalstab" genannt) als Basis für sämtlichen darauf aufbauenden weiteren Arbeiten. Diese durchgeführten Arbeiten sind in gesonderten Berichten dokumentiert.

Im geplanten vorliegenden Projektsteil sollen diese begonnen Arbeiten weitergeführt und zu einem sinnvollen Abschluss gebracht werden. Dabei sind folgende Arbeiten in erster Linie ins Auge gefasst:

  • Beschäftigung mit geometrischen Imperfektionen fuer Einzelstäbe und ebenen oder räumlichen Stabsystemen; auf der Basis der Entwicklung und konsequenten Anwendung des gedanklichen Werkzeuges der spektralen Zerlegung und modalen Superpositionen von Knickeigenformen; darauf aufbauend Herausarbeiten der Relation des "Ersatzstabverfahrens" zur exakten Berechnung nach Theorie 2. Ordnung sowie das Aufzeigen der nahtlosen Integration des Ersatzstabverfahrens als Spezialfall der Anwendung der Theorie 2. Ordnung zur näherungsweisen Berechnung der Knicktraglast von Systemen; Vorschlag zur systematischen Wahl und Annahme geometrischer Imperfektionen für durchzuführende Traglastberechnungen im Rahmen von Konstruktionsentwürfen oder geforderter normenmäßiger Tragfähigkeitsnachweise.
  • Theoretische Behandlung und computermaessige Realisierung des nichtlinearen gekrümmten Stabes sowie von Stabsystemen (die Imperfektionsfrage soll auch hiefuer im Rahmen des zuvor genannten Knickeigenform-Konzeptes beantwortet werden).
  • Untersuchung der Rolle von Schubspannungen zufolge Schubverwölbungen und Torsionsverwölbungen in Stabquerschnitten, insbesondere Verbundquerschnitten; generelle kinematische Behandlung der Verwölbungsproblematik und der Querschnittsverformung; Zusammenwirken dieser Schubtragmechanismen (Qy + Qz + Mt) mit Längsnormaltragmechanismen (N + My + Mz) im Rahmen der erweiterten dreidimensionalen materiellen Nichtlinearität.